Methode Virtuelle Welten

Aus dem Projekt von Die Welle gGmbH, Remscheid

Das Projekt Virtuelle Welten bietet viel Raum, um die eigene Persönlichkeit kreativ einzubringen und sich über Wünsche, Ideen und gemeinsame Interessen auszutauschen. Die Nutzung von VR sowie das Basteln in einer analogen Welt kann ohne Sprache gut funktionieren, sodass sich auch Jugendliche ohne Deutschkenntnisse auf kreative Art und Weise am Projekt beteiligen und ihre Gedanken und Gefühle zum Ausdruck bringen können. Die Methode eignet sich daher besonders gut als Startprojekt für ein regelmäßiges und damit nachhaltiges Gruppenangebot.

Projektziele

Das Projekt Virtuelle Welten bietet Möglichkeiten, interaktive virtuelle Umgebungen zu entdecken, selbst zu gestalten und zu präsentieren. Die Ergebnisse können digital und analog dargestellt werden. Ziel ist es, über eigene Vorstellungen und Wünsche ins Gespräch zu kommen, künstlerischen Ausdruck und Gestaltung zu schulen, Körper- und Rhythmusgefühl zu trainieren, Grenzerfahrungen mit Angst und Selbstsicherheit zu erleben, Medienexpertise zu erlernen und den Austausch darüber zu praktizieren. Außerdem regt das Projekt zur Auseinandersetzung mit unserer digital geprägten Welt an und soll einen Diskurs über das Gleichgewicht zwischen virtuell und analog initiieren.

Besondere Hinweise zur Arbeit mit Jugendlichen mit Fluchterfahrung
Vor dem Projekt werden die VR-Spiele angespielt, um herauszufinden, welche möglichen Schrecksituationen oder Momente des Unwohlseins es geben könnte. Auch sollte die Thematik der Spiele im Vorfeld gut bedacht werden. VR-Spiele, die eventuelle Traumata hervorrufen können (indem z. B. eine Bombe entschärft oder etwas/jemand abgeschossen werden muss), sollten vermieden werden.

Wie lässt sich das Projekt auf individuelle Bedarfe, Fähigkeiten und Kenntnisse der Gruppenteilnehmenden anpassen?
Es gibt grundsätzlich wenig sprachliche Barrieren, da die allermeisten VR-Titel durch ihre intuitive Bedienung kaum bis gar keine Übersetzung nötig haben. Erläuterungen zu den verschiedenen Anwendungen können durch Bilder oder Piktogramme erfolgen. Man sollte im Vorfeld die Spiele spielen und so herausfinden, was ggf. übersetzt und erklärt werden muss oder im Zweifelsfall nicht gespielt werden kann.

Organisatorische Infos

Zeitplanung
Für die Vorbereitung sollten – abhängig von den Vorkenntnissen – zwei bis drei Tage eingeplant werden, um sich mit der VR-Technik, den Spielen, virtuellen Welten und der 3-D-Software Tilt Brush vertraut zu machen. Auch der Aufbau der Technik kann etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.
In der Durchführung kann die Methode als Wochenprojekt mit einem Zeitrahmen von fünf Tagen gestaltet werden. Das Projekt ist auch erweiterbar, wenn man z. B. die Ausgestaltung der analogen Welt intensiviert oder sich grundsätzlich mit virtuellen Welten auseinandersetzt. Abgesehen von den medienpädagogischen und kreativen Inhalten besteht bei den Jugendlichen oft Redebedarf über zukünftige Technologien und digitales Leben.
Für die Nachbereitung ist es empfehlenswert, sowohl eine Evaluationsrunde mit den Jugendlichen als auch eine ausschließlich mit den Fachkräften zu machen. Für die Evaluation mit den Jugendlichen können konkrete Fragestellungen helfen, z. B. nach dem Befinden, den eigenen Erfahrungen im Projekt und möglichen Ideen für Folgeprojekte. Ein bis zwei Tage sollten für die Nachbereitung eingeplant werden.

Empfohlene Teilnehmendenzahl und Betreuungsschlüssel
Die Teilnehmenden sollten mindestens 12 Jahre alt sein (VR-Brillen werden von Augenärzten und Herstellern ab 12 Jahren empfohlen). Für das Projekt ist eine Gruppengröße von maximal 12 Teilnehmenden zu empfehlen. Für die Umsetzung sollten mindestens zwei Fachkräfte eingeplant werden, da der technische Aufwand nicht zu unterschätzen ist. Vor allem wenn nicht alles sofort funktioniert oder auftretende Probleme den Ablauf erschweren, ist es vorteilhaft, Verantwortlichkeiten aufzuteilen. Die „virtuelle Station“ muss auf jeden Fall betreut werden. Außerdem ist an der VR Station immer nur eine Person aktiv. Für die Betreuung der anderen Teilnehmenden, die gerade nicht an der Station tätig sind, sondern sich mit der plastischen Ausgestaltung ihrer analogen Werke an der Kunststation beschäftigen, wird die zweite Fachkraft eingesetzt.

Räumliche Voraussetzungen
Es bietet sich an, einen großen Raum zu nutzen und darin Sofas oder andere gemütliche Sitzgelegenheiten zu platzieren. Wie viel Platz für raumfüllende VRs benötigt wird kann den Angaben der vom Hersteller genutzten VR-Brille entnommen werden. Die Kunststation zum analogen Arbeiten sollte im gleichen Raum mit etwas Entfernung zur VR-Station platziert werden.

Jugendliche haben oft Spaß daran, den anderen Teilnehmer*innen beim Spiel oder bei der Gestaltung des VR-Raums zuzuschauen. Ein Beamer bietet an dieser Stelle die Möglichkeit, das Geschehen für alle sichtbar zu machen.

Folgende Technik wird benötigt:

  • VR-Ausstattung (Basisstationen, VR-Brille, Controller)
  • VR-fähiger Computer mit freiem HDMI-Anschluss an der Grafikkarte sowie USB-Anschluss
  • VR-Software, z. B. theBlu, Tilt Brush, Wildlands, Beat Saber, Richie’s Plank Experience
  • großer Monitor (oder Beamer), Tastatur und Maus
  • Audioboxen
  • Internetverbindung

Folgendes Material wird benötigt:

  • Bastelmaterialien zur plastischen Gestaltung
  • Farben

Info: Virtuelle Realitäten stellen eine körperliche Erfahrung dar. Nicht jede*r verträgt die virtuelle Welt. Schwindel und Gleichgewichtsprobleme sind möglich. Hier spricht man von der sogenannten Motion Sickness, in dem Fall Simulationsübelkeit – ein Zustand, in dem eine Unstimmigkeit zwischen visuell wahrgenommener Bewegung und dem Bewegungssinn des Gleichgewichtssystems besteht.

Durchführung der Methode

Einstieg
Die Technik wird in einem geeigneten großen Raum aufgebaut. Zu Beginn sollte sich die Gruppe untereinander kennenlernen. Anschließend erklärt die Fachkraft die Inhalte und Abläufe des Projekts. Das Thema Motion Sickness sollte unbedingt besprochen werden.

Durchführung
Zur Einführung in die VR bietet sich eine Anwendung mit dem Titel theBlu an, in der sich die Teilnehmenden in einer raumfüllenden Unterwasserwelt wiederfinden. Auf einem Schiffswrack stehend sieht man plötzlich einem riesigen Wal in sein majestätisches Auge. Auch leuchtende Quallen, Meeresschildkröten oder gigantische Unterwasserwesen können, zum Teil nur mit einer Taschenlampe, virtuell entdeckt werden. Da immer nur eine*r die VR-Brille ausprobieren kann, wechseln sich die Teilnehmenden in der Nutzung der VR-Technik ab, sodass sich alle mit dieser vertraut machen können. Außerdem können erste Ideen zu einer eigenen virtuellen Welt (z. B. einem Garten) gesammelt werden.

Am nächsten Tag erfolgt die Einführung in Tilt Brush, ein 3-D-Zeichenprogramm von Google, welches
3-D-Zeichnungen im virtuellen Raum ermöglicht. Zunächst wird den Teilnehmenden das Tool erklärt, anschließend dürfen es alle ausprobieren und ihre ersten Ideen zeichnen. Die folgenden Tage werden damit verbracht, abwechselnd an Tilt Brush zu arbeiten sowie einige der entworfenen Kreationen außerhalb der virtuellen Welt im Analogen nachzubauen. Dafür sollten täglich zwei bis drei Stunden Zeit eingeplant werden. Gemeinsame Mittagspausen können den Gruppenzusammenhalt stärken.

An den Nachmittagen sollten durch weitere VR-Spiele Abwechslung und Bewegung in die Projekttage eingebaut werden. Denn nach einer intensiven kreativen Arbeit bieten Sport und Bewegung einen guten Ausgleich. Empfehlenswert ist z. B. das Spiel Beat Saber, in dem man im Takt der Musik farbige Würfel zerschlagen muss, welche in unterschiedlicher Geschwindigkeit aus dem Hintergrund auftauchen. Dazu werden zwei Lichtschwerter in verschiedenen Farben (z. B. blau und rot) genutzt und man muss die Würfel mit der korrespondierenden Farbe im richtigen Augenblick treffen und zerteilen.

Das Spiel erinnert an eine Mischung aus Karaoke und Zumba und ist eine perfekte Abwechslung. Besonders interessant ist hierbei die abwechselnde und gleichzeitige Nutzung von linker und rechter Körperhälfte sowie die präzise Auge-Hand-Koordination. Ebenfalls sehr beliebt ist Richie’s Plank Experience. Die Aufgabe besteht darin, über eine Planke zu
laufen, die in großer Höhe an einem Haus angebracht ist. Um den Effekt zu erhöhen, kann ein tatsächliches Brett oder ein Stepboard genutzt werden. Allerdings sollte der/die Teilnehmende trotz der wenigen Zentimeter Realhöhe von jemandem gehalten werden, da die im Spiel vorgegaukelte Realität beängstigend echt wirkt.
Am letzten Projekttag sollten die Endergebnisse – die virtuellen Welten – fertiggestellt und gemeinsam mit den Jugendlichen eine Abschlussveranstaltung organisiert werden. Dabei ist zu überlegen, wo und wie die Exponate ausgestellt und präsentiert werden und ob es eine geführte „Entdeckungsreise“ geben kann.

Tipp: Während des Projekts sollte man gut beobachten und Entwicklungen innerhalb einer Gruppe
berücksichtigen. Man sollte Vorgaben so offen wie möglich halten und die Ideen der Jugendlichen aufgreifen und miteinbeziehen.

Empfohlener Abschluss
Auf der Abschlussveranstaltung werden die von den Jugendlichen hergestellten digitalen und analogen Exponate ausgestellt und bestaunt. Die Teilnehmerinnen können etwas zu ihren Objekten, deren Entstehung und ihren virtuell gestalteten Welten berichten. Eltern, Verwandte und Freunde sind oft sehr beeindruckt, welche kreativen Ideen die Jugendlichen plastisch und virtuell umgesetzt haben. An diesem Tag werden die Teilnehmenden selbst zu Expertinnen und zeigen ihren Eltern, Geschwistern und Freunden die faszinierende Welt der VR. Die Welten sind bei Tilt Brush
begehbar. Die Veranstaltung sollte Gesprächs- und Austauschmöglichkeiten bieten, um den Diskurs zwischen den Generationen anzuregen und zu ermöglichen.

Persönliches Fazit Ramona Schösse
Leitung projektbezogene Medienarbeit Die Welle GgmbH
Das Projekt Virtuelle Welten bietet die Möglichkeit, reale und virtuelle Welten zu vermischen. Denn die virtuellen Welten lassen sich durch das parallele analoge Arbeiten und Erstellen der Welt auch digital immer wieder erweitern und verändern. Dieser Prozess kann als Analogie zu unserem digitalen und analogen Leben stehen und bietet viel Potenzial zum Austausch und zu künstlerischer Inspiration. Im Verlauf des Projekts entdecken die Jugendlichen verschiedene Spiele und Erlebnisse in der VR und setzen sich kreativ mit ein oder mehreren Gegenständen aus ihrer ganz eigenen gestalteten virtuellen Welt sowohl digital als auch analog auseinander. Darüber hinaus machen die Jugendlichen außergewöhnliche Erfahrungen, um ihre persönlichen Grenzen auszuloten und mit viel Spaß neue Körpererfahrungen zu erleben. Nebenbei werden Rhythmusgefühl und Auge-Hand-Koordination geschult und kommunikative Aufgaben bewältigt.